Homeoffice: Effizienz statt Verwahrlosung

Unternehmen und Homeworker machen viele unnötige Fehler in der digitalen Arbeitswelt

Neben einer Reihe massiver Einschränkungen hat die Corona-Krise auch ein paar Vorteile mit sich gebracht – dem Homeoffice etwa hat sie einen enormen Schub verliehen. Nachdem das Thema bis vor einem Jahr in vielen Unternehmen vielleicht gerade noch in Ausnahmen geduldet war, ist es heute die Voraussetzung, um Firmen noch handlungsfähig zu halten. Auf dem Höhepunkt der Corona-Krise wurde innerhalb von Tagen das umgesetzt, worauf viele seit Jahren gewartet hatten: Die Ausstattung mit Laptops, die Einführung von Kollaborationsplattformen wie Microsoft Teams oder Webex Teams oder das Ersetzen von Geschäftsreisen durch Video-Konferenzen und virtuelle Meetings. Dies alles ging plötzlich sehr schnell – und das ist gut so. Gleichzeitig hat die Verlagerung der Arbeit ins heimische Büro aber auch zu neuen Herausforderungen geführt, die es in dieser Form bislang nicht gab.

Nine to Five hat sich erledigt

Die Arbeit im heimischen Büro gibt vielen die Flexibilität, Privates und Berufliches besser miteinander in Einklang zu bringen. Zudem muss diejenige Arbeit, die zeitlich nicht an konkrete Termine gebunden ist, im Homeoffice nicht mehr zwingend klassisch „Nine to Five“ erledigt werden. Im Zuge dieser Entwicklung löst sich aber auch der Acht-Stunden-Arbeitstag, der seit 1918 gesetzlich verankert ist, mehr und mehr auf. Im Büro kann die Arbeit in der Regel mal so ausgedehnt werden, dass die acht Stunden erreicht werden – auch dann, wenn eigentlich nicht genug zu tun ist. Und wenn man Überstunden machen will, dann werden aus acht Stunden Arbeit eben auch mal neun. Im Büro herrscht mehr eine Anwesenheits- als eine Arbeitspflicht. Damit ist es im Homeoffice jetzt endgültig vorbei – und auch das ist gut so. Warum sollte jemand, der seine Arbeit nach sieben Stunden erledigt hat, zuhause eine weitere Stunde vor dem Rechner sitzen? Natürlich gibt es auch den gegenteiligen Effekt: Viele finden im Homeoffice einfach kein Ende. Es findet eine Art „Entgrenzung“ der Arbeit statt. Damit dehnt sich das, was bei vielen Führungskräften, die schon länger am Wochenende im Homeoffice aktiv sind, jetzt massiv auch auf die Mitarbeiter im Homeoffice aus.

Es droht eine gewisse Verwahrlosung

Gleichzeitig führt die fehlende räumliche Abgrenzung von Privatem und Beruflichem bei manchen Menschen – insbesondere zu Anfang – zu einer regelrechten Verwahrlosung. Extreme Fälle sitzen bis in den späten Nachmittag mit Bademantel oder Jogginghose, ungekämmt und nicht rasiert vor dem Bildschirm. „Arbeiten ohne Zähneputzen“, trifft es hier ganz gut. Selbstverständlich ist es an jedem selbst, sich die Regel zu verordnen, sich jeden Tag so zu pflegen und anzuziehen, als ob man ins Büro gehen würde. Die Jogginghose wird dann eben erst angezogen, wenn Feierabend ist. „Wer Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren“ – diesen vielzitierten Satz des berühmten Designers Karl Lagerfeld kann man hier auf das Homeoffice ausdehnen, getreu dem Motto: „Wer Jogginghose im Homeoffice trägt, hat die Kontrolle über sein Arbeitsleben verloren.“

Kommunikation auch über die Distanz

Ein weiterer Nachteil des dezentralen Arbeitens ist der reduzierte Kontakt zu Kollegen und Vorgesetzten. Dies schadet nicht nur dem persönlichen Miteinander, es erschwert auch den Informationsfluss: Während man im Büro viele Details durch Gespräche oder Meetings erfährt, muss man sich im Homeoffice auf die Weitergabe relevanter Informationen verlassen. Experten befürchten außerdem, dass Kreativität und Innovationskraft unter dem fehlenden persönlichen Kontakt leiden. Neue Bürostrukturen sind inzwischen so angelegt, dass sie das „zufällige Zusammenkommen“ im Büro fördern, weil man festgestellt hat, dass dort viele kreative Ideen entstehen. Was früher die Kaffeeküche war ist heute die Lounge, der Kicker oder die Kaffeetheke. Auch im Homeoffice gibt es eine ganze Reihe von Tools und Methoden, die gezielt Situationen schaffen können, die wiederum die Kreativität fördern. Dies ist insgesamt weitaus effektiver, als einfach bloß auf den Zufall zu vertrauen. Teammeetings etwa können sehr effizient auch in virtueller Form abgehalten werden. Technisch ist dies – dank digitaler Whiteboards und anderer Tools – kein Problem, organisatorisch dagegen schon: Häufig stecken Kollegen noch im vorherigen Call fest oder kommen aus anderen Gründen etwas später dazu. Hier empfiehlt sich, 15 Minuten „Check in“- und „Check out“-Phasen zu integrieren, in denen sich die Kollegen smalltalk-mäßig austauschen können. Um die Distanz in virtuellen Meetings zu reduzieren, sollten außerdem alle Teilnehmer dazu angehalten werden, ihre Kamera einzuschalten. Das zwingt die Kollegen nicht nur zum Haarekämmen, es ermöglicht zudem eine gewisse Kontrolle darüber, dass alle anwesend sind und aufmerksam zuhören.

„Bitte nicht stören“

Trotz aller Unterschiede, die die Arbeit im Büro und im Homeoffice mit sich bringen, gibt es auch eine Reihe von Herausforderungen, die beiden gemein sind. Dazu zählt etwa das zwingend erforderliche Schaffen störungsfreier Räume, die das konzentrierte Arbeiten an bestimmten Problemstellungen überhaupt erst möglich machen. Während es im Büro die Kollegen sind, die konzentriertes Arbeiten bisweilen verhindern, sind es zuhause die Familienmitglieder. Im Homeoffice empfiehlt es sich, die Familie gezielt um Ruhe zu bitten, MS Teams oder Webex Teams auf „Bitte nicht stören“ zu stellen und Kopfhörer aufzusetzen, um etwaige Störungsgeräusche von außen abzuschotten. Auf diese Weise kann die Arbeit sicher deutlich konzentrierter erledigt werden als im klassischen Büro, wo Unterbrechungen eher die Regel als die Ausnahme sind. Insgesamt gilt hier wie da: Gute Organisation ist alles.

Ergebnisse statt Anwesenheit

Das Homeoffice gibt den Mitarbeitern nicht nur eine große Flexibilität, es verlangt auch ein erhöhtes Maß an Eigenverantwortung. Der Acht-Stunden-Arbeitstag ist damit abgeschafft und die Anwesenheitspflicht – ohnehin eine Vergeudung menschlicher Ressourcen – wird durch eine Arbeits-, noch besser eine Ergebnispflicht ersetzt. Was es allerdings zwingend braucht, sind klare Regeln für die Organisation eines Arbeitstags im Homeoffice. Nicht alle Unternehmen geben ihren Mitarbeitern Hilfestellungen an die Hand, indem sie Strukturen schaffen oder Vorschläge machen, wie man sich im Homeoffice organisieren und eine gewisse Trennung zwischen Freizeit und Arbeitszeit umsetzen kann. Auch die Sensibilisierung für essenzielle Themen wie Datenschutz und Informationssicherheit kommt vielfach noch zu kurz. Werden diese Dinge berücksichtigt, wird das Homeoffice auch über die Corona-Krise hinaus Bestand haben.

Über den Autor
Seit rund einem Vierteljahrhundert ist Mathias Hess in der digitalen Welt unterwegs – in nationalen mittelständischen Unternehmen und in internationalen Großkonzernen, als CIO und IT-Leiter sowie in verantwortlichen Management-Positionen bei IT-Service-Providern. Er kennt alles, was das moderne IT-Umfeld beim Thema Digitalisierung als Chancen, aber auch an Risiken zu bieten hat. Er verfügt über umfangreiche Erfahrungen im Projektmanagement, sowohl mit der Einführung neuer Anwendungen und Prozesse (ITIL) als auch in der Umsetzung von Outsourcing-Projekten und komplexen Offshore-Leistungen. Im Rahmen seiner Tätigkeit trägt er oft auch Verantwortung für das Change-Management, was immer mehr zum entscheidenden Erfolgsfaktor in vielen Projekten wird. Mathias Hess ist begeisterter Chancen-Nutzer und Digitalisierungsoptimist. Die IT sieht er zukünftig immer weniger als Kostenoptimierer, sondern vielmehr als treibenden „Business Enabler“. Mathias Hess ist Interim Manager und professioneller Vortragsredner. Seine Themen sind Innovation, Führung, Agilität und Change-Management.
Weitere Informationen unter www.mathias-hess.con.