Führungsintelligenz – Gesundheitsprävention steigert den Unternehmensgewinn
10. Januar 2017.
33% aller Führungskräfte schicken ihre Mitarbeiter bei einer ernsten Erkrankung nicht nach Hause. 17 % sagen, von häufig kranken Mitarbeitern sollte man sich trennen. So, das Ergebnis einer Umfrage der Hochschule Coburg aus dem Jahr 2012. Aber auch mit ihrer eigenen Gesundheit gehen Führungskräfte schonungslos um: 58 % von ihnen gehen auch mit einer mittelschweren Erkältung zur Arbeit, weitere 29 % arbeiten von zu Hause. In Deutschland gilt die Anwesenheit am Arbeitsplatz immer noch als Leistungs- und Karrierekriterium.
Dieses Verhalten hat nichts mit einem klassischen Anwesenheitswahn zu tun. Ohne Zwölf-bis-Sechzehn-Stunden-Schichten ist das Pensum heute meist nicht mehr zu schaffen. Gute Ergebnisse erzielt eine Führungskraft in den Randstunden und dieses bedingt meist die Bereitschaft zu mehr Zeiteinsatz. Unsere Leistungsgesellschaft wird irgendwann kollabieren, denn das jetzige System frisst seine eigenen Leistungsträger. Verstärkt wird dieser Trend angesichts der demographischen Entwicklung und der Notwendigkeit zu längeren Lebensarbeitszeiten bei gleichzeitig abnehmender individueller Leistungsfähigkeit.
Der Kölner Wirtschaftswissenschaftsprofessor Winfried Panse hat festgestellt, dass kranke Mitarbeiter bis zu 40 % weniger leisten. Was passiert, am Ende zahlt die Gesellschaft die Zeche für die steigende Zahl der Krankheitstage, mehr Burnout-Fälle, Frühpensionierungen, sinkende Produktivität und für eine abnehmende Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft.
Was ist zu tun? In den Führungsetagen muss eine Erkrankung auf ihre wirtschaftlichen Faktoren reduzieren werden. Das klingt vielleicht inhuman aber es ist die einzige Sprache die in den meisten Führungsebenen verstanden wird. Betrachtet man aber den enormen Anstieg der Krankheitsfälle in den letzten Jahren, ist es gerade das Kostenargument, das den einen oder anderen Entscheidungsträger dazu bewegt, dieses Phänomen und seine ökonomischen Folgen vermehrt in seine strategischen Unternehmensüberlegungen einzubeziehen. Es bedarf dazu aber einer spezifischen psychischen und starken Führungspersönlichkeit sowie bestimmter äußerer Umstände.
Burnout zum Beispiel ist ein schleichender Prozess. Bereits vor dem eigentlichen Zusammenbruch verursacht dieses Syndrom großen persönlichen und betriebswirtschaftlichen Schaden. Geht man davon aus, dass im Normalfall der Betroffene vom spürbaren Beginn der ersten Stressfolgeerkrankungen bis zum totalen Zusammenbruch 2 – 4 Jahre arbeitet, wird klar, wie groß der potenzielle Schaden ist. Selbst wenn der völlige Erschöpfungszustand eingetreten ist, verneinen die Betroffenen zu dem Ihren Zustand, denn wer möchte schon als „Looser“ dastehen. Hier besteht die Pflicht der Führungskraft zur Früherkennung und Prävention.
Vom Moment der Arbeitsunfähigkeit an entstehen weitere Kosten, zunächst einmal bei den Sozialversicherungen (Krankenkasse, Krankentaggeldversicherung, Invalidenversicherung, Pensionskasse). Ein kleines, stark vereinfachtes Beispiel aus der Schweiz mag dies illustrieren:
Ein fünfundfünfzigjähriger Arbeitnehmer mit einem Einkommen von Fr. 96 000.- wird von einem Tag auf den andern für ein Jahr zu 100 % arbeitsunfähig geschrieben. Dann kann er wieder eine Arbeits- und Erwerbstätigkeit zu 50 % aufnehmen, verdient also Fr. 48 000.-. Er findet sofort wieder eine Arbeitsstelle, an welcher er seine Rest-Erwerbsfähigkeit ausschöpfen kann. Unter dem Strich präsentiert sich die Rechnung wie folgt:
Lohnfortzahlung Arbeitgeber 30 Tage 100 % = Fr. 8000.-;
Lohnfortzahlung Krankentaggeldversicherung 11 Monate zu 80 % = Fr. 70 400.-;
IV-Rente 9 Jahre (9 Jahre 50 %, inkl. Ehegattenrente; Basis Fr. 1300.-/Mt.) = Fr. 140 400.-;
IV-Rente Pensionskasse 9 Jahre (9 Jahre 50 %, Basis Fr. 1200.-/Mt.) = Fr. 129 600.-;
Heilungskosten Krankenkasse (stationärer Rehabilitationsaufenthalt 6 Wochen Fr. 9000.-, Allgemeinmediziner, Psychotherapie, Medikamente) = Fr. 35 000.-.
Zusammengerechnet resultieren für Arbeitgeber und Sozialversicherung direkte Kosten von nicht weniger als Fr. 391 400.—, so Dr. Frank Th. Petermann, Generalsekretär von Swiss Burnout.
Produkte, Patente und Dienstleistungen sind in der Bilanz aufgeführt. Wird ein Unternehmen verkauft, so prüft der potenzielle Käufer meist nur die rechtliche und finanzielle Situation des Unternehmens. Das wichtigste Aktivum, das Humankapital, wird hingegen kaum geprüft. Dies erstaunt umso mehr, als die Rate der Langzeiterkrankungen, insbesondere im Quervergleich mit anderen Unternehmen der Branche, aussagekräftige Informationen enthält über den Zustand des Humankapitals. Diese verraten weiterhin die längerfristigen Perspektiven des Unternehmens und sogar über den Führungsstil des Managements. Wird das Unternehmen durch einen gesunden Führungsstil geleitet, hat das sofort positive Auswirkungen auf das Betriebsergebnis.
Dieses hat aber auch volkswirtschaftliche Aspekte. Im Jahr 2000 veröffentlichte das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) erstmals unter dem Titel «Die Kosten von Stress in der Schweiz» eine Umfrage-Studie. Darin war ersichtlich, dass alleine die durch Stress verursachte Kosten für Unternehmen sich in der Schweiz auf 4,2 Milliarden SFR und in Deutschland sogar auf 45 Milliarden SFR beliefen.
Diese Studie wurde im Jahre 2010 wiederholt. Die Ergebnisse waren erschreckend. So stellte die neue Studie fest, dass in der Schweiz die Kosten auf 10 Milliarden SFR angestiegen waren, in Deutschland gar auf 80 Milliarden Euro. Das ist volkswirtschaftlich nicht mehr haltbar, deshalb muss das Thema Gesundheit für eine Führungskraft zum Erfolgsfaktor werden. Genau wie es ein Umsatz- oder Produktivitätsziel gibt, muss es ein Ziel Mitarbeitergesundheit geben und dieses muss in die Zielvereinbarung der Führungskraft integriert werden.
Die Problematik wirft aber auch für Unternehmen und Führungskräfte rechtliche Fragen auf. So hat ein Arbeitgeber die Pflicht, die psychische und physische Gesundheit des Arbeitnehmers zu schützen. Das heißt, das Unternehmen hat dafür zu sorgen, dass der Mitarbeiter wenn möglich erst gar nicht krank wird. Vernachlässigt der Arbeitgeber diese Pflicht, wird er dem Arbeitnehmer gegenüber schadenersatzpflichtig. Dieser Grundsatz des Arbeitsrechts besteht seit Jahrzehnten; neu hingegen ist, dass Arbeitnehmer vermehrt auf die ihnen daraus zustehenden Rechte pochen und klagen.
Berufskrankheiten hat es immer schon gegeben und wird es auch weiter geben. Ende des 18. Jahrhunderts waren es zunächst vor allem Arbeitsunfälle, welche die Gesundheit des Arbeitnehmers bedrohten. In die siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts resultierten Berufskrankheiten häufig aus dem Umgang mit gefährlichen Stoffen wie beispielsweise Asbest. Später waren es vielfach psychosomatische Probleme, wie Rücken-, Muskel- und Wirbelsäulenerkrankungen, welche die Sozialversicherungen stark belasteten. Betrachtet man heute die Statistik der Invalidenversicherung, so ist die größte Krankheitsgruppe, die der psychischen und neurologischen Erkrankungen. Zusammen machen die beiden Erkrankungen rund 55 % aller Fälle aus, welche Individuen aus dem Arbeitsleben schleudern, Tendenz steigend.
Krankheiten am Arbeitsplatz zu mindern und diese auch präventiv anzugehen, sind komplexe aber lösbare Aufgaben. Betrachtet man die volkswirtschaftlichen Kosten, den Verlust von unersetzbarem Know-how, die Auswirkungen des demografischen Wandels und den Aufwand für die Rekrutierung und Einarbeitung neuer Mitarbeiter, wird deutlich, dass Unternehmen und Führungskräfte mit einem Problem konfrontiert sind, dessen Lösung auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht ein Gebot der Stunde ist. Gestandene, weltoffene Führungskräfte werden es schaffen diese Wende einzuleiten. Sie haben verstanden. Gesundheit ist Chefsache.
Quelle: Chefsache Gesundheit – Der Führungsratgeber fürs 21. Jahrhundert