Experten prognostizieren weiter wachsenden Restrukturierungsbedarf
Der ohnehin schon große Restrukturierungsbedarf deutscher Unternehmen ist im Vergleich zum Vorjahr noch einmal deutlich gestiegen. Laut einer Umfrage unter circa 130 Restrukturierungsexperten, die der Interim Management Provider und Personalberater Aurum durchgeführt hat, gehen 47 Prozent der in 2021 Befragten von einer starken Zunahme an Restrukturierungsfällen aus. Das sind stolze 17 Prozentpunkte mehr als bei der letzten Umfrage aus 2019/20. Hauptgrund dafür ist nicht maßgeblich die COVID-19 Pandemie – sie rangiert auf Platz 4 der stärksten Restrukturierungstreiber.
„Die Ergebnisse unseres diesjährigen Restrukturierungspanels haben uns überrascht“, kommentiert Samir Jajjawi, Managing Partner von Aurum Interim die Resultate. „Wir sind mit großer Sicherheit davon ausgegangen, dass Corona unter den Top 3-Treibern des Restrukturierungsbedarfs ist. Das ist aber nicht der Fall.“ Denn es sind vor allem strukturelle Marktveränderungen (91 Prozent), konjunkturelle Veränderungen (86 Prozent) und die Digitalisierung (83 Prozent), die nach Einschätzung der befragten Experten die wichtigsten Treiber ausmachen. Erst auf Platz 4 folgt
die Corona-Pandemie mit 79 Prozent. „Bei der letzten Umfrage zeichnete sich noch ein anderes Bild ab“, so Jajjawi. „Da standen die Personalkosten mit 87 Prozent an zweiter Stelle und die Digitalisierung rangierte an vierter Position mit nur 72 Prozent. Das ist eine klare Verschiebung unter den Auslösern von Restrukturierungsmaßnahmen.“
Worum es bei Restrukturierungen geht
Restrukturierungs- und Sanierungsprozesse sind oft komplex und betreffen sehr selten nur einen Funktionsbereich. In 93 Prozent der Fälle, so die Erfahrung der Umfrage-Teilnehmer, geht es um mehrere Bereiche oder das gesamte Unternehmen. Im Fokus stehen dabei – übrigens unverändert zum Vorjahr in der Rangfolge – vor allem die Kernsegmente entlang der Supply Chain: Produktion (94 Prozent), Lager & Logistik (83 Prozent) und der Einkauf (67 Prozent). Einher gehen Restrukturierungen fast immer mit arbeitsorganisatorischen Maßnahmen wie der Einführung neuer Arbeitsabläufe (93 Prozent), der Zusammenlegung von Abteilungen (83 Prozent) oder der Etablierung neuer Technologien (77 Prozent). „Daraus lassen sich zwei Trends ableiten“, erläutert Jajjawi. „Zum einen die Bedeutung einer kontinuierlichen Optimierung und damit Digitalisierung von Prozessen. Zum zweiten aber auch das verstärkte Streben nach flacheren Strukturen und Hierarchien, die Kosten sparen und die Unternehmenssteuerung vereinfachen.“ Perspektivisch zu erwarten ist darüber hinaus, dass mit Ende der Corona-Pandemie und dem Auslaufen der Hilfskredite auch die Rückzahlung gewährter Finanzhilfen zu einem steigenden Restrukturierungsbedarf führen wird, so ein weiteres Ergebnis der Umfrage.1
Branchen mit besonders hohem Restrukturierungsbedarf
Gefragt nach den Restrukturierungsanfragen der vergangenen Monate ergibt die Aurum-Umfrage ein interessantes Profil. Unverändert auf Rang 1 im Branchen-Ranking bezüglich der Zahl der Anfragen liegt mit 78 Prozent die Automobilbranche inklusive ihrer Zulieferbetriebe. Einen extremen Bedarfszuwachs verzeichnen die Restrukturierungsexperten ebenfalls aus dem Maschinen- und Anlagenbau, der von 18 Prozent im Vorjahr auf 75 Prozent und Rang 2 aufstieg. Und auch der Handel meldete deutlich verstärkt Bedarf an mit einem Sprung von Rang 8 (36 Prozent) auf nunmehr Rang 3 (55 Prozent) in 2020. Deutlich weniger Anfragen als im Vorjahr kamen dagegen aus dem Baugewerbe. Mit nur 15 Prozent liegt dieser Sektor auf Rang 11 im aktuellen Ranking, im Vorjahr belegte die Baubranche mit 34 Prozent noch Platz 9. „Bei der Automobilindustrie ist zur Notwendigkeit von Investitionen in neue Technologien erschwerend die Bewältigung der Corona-Krise hinzugekommen, der Maschinen- und Anlagebau litt unter Marktunsicherheiten sowie dem vorübergehenden Stopp internationaler Großprojekte und im Handel haben sich fehlende Online-Strategien negativ ausgewirkt. Das Baugewerbe war im Gegensatz zu anderen Branchen in einer deutlich stabileren Situation“, so die Analyse von Samir Jajjawi.
Interim Manager: gefragte Experten im Restrukturierungsfall
Restrukturierungen stellen Unternehmen vor besondere Herausforderungen. Oft fehlt es im eigenen Team an Kapazitäten und Erfahrungen, aber auch an der notwendigen Objektivität, um Restrukturierungsprozesse zu initiieren und konsequent voranzutreiben. Aus diesem Grund ziehen viele Unternehmen für Restrukturierungsprojekte einen Interim Manager als externen Experten hinzu. Im Vergleich zum Vorjahr waren dies auffällig häufig Finanz-Experten zur Lösung akuter Cash-Flow-Probleme mit einem Zuwachs von 13 Prozentpunkte (von 47 Prozent in 2020 auf 60 Prozent in 2021). Im gleichen Zeitraum nahm der Bedarf an Interim Management-Projekten zur Optimierung der Marktposition oder Anpassung von Geschäftsmodellen um knapp 20 Prozentpunkte ab (von 64 auf 47 Prozent). „Die Brisanz existenzieller und kurzfristiger Themen wie Cash Flow hatten während der Pandemie deutlich mehr Gewicht als langfristige Themen wie die Optimierung von Marktpositionen oder Geschäftsmodellen“, kommentiert Jajjawi. „Und ob mit oder ohne Corona: Die wichtigste Aufgabe von Interim Managern ist und bleibt die Verbesserung des Ergebnisses sagen wie bereits im Vorjahr drei Viertel der Experten. Denn Interim Manager werden auf eine Ergebnisverbesserung verpflichtet – und sind darum ein Garant für erfolgreiche Restrukturierungen.“
Über das Aurum Restrukturierungspanel
Für das Aurum Restrukturierungspanel wurden 128 ausgewiesene Restrukturierungsexperten online befragt. Die Befragung erfolgte erstmals Ende 2019. Die aktuelle Umfrage ist die zweite Auflage des Panels, das Aurum Interim regelmäßig durchführt.
1 54 Prozent der Befragten sehen in der externen Refinanzierung einen maßgeblichen Grund für Restrukturierungsvorhaben.