Profiler Suzanne Grieger-Langer: Kritik hat nicht immer Hand und Fuß
Das Annehmen von Kritik fällt nicht selten schwer: Man fühlt sich vielleicht in seinem Ego angekratzt oder in seinen Leistungen nicht anerkannt. Es ist also kein Zufall, dass das Internet voll ist mit unterschiedlichen Ratgebern dazu, wie sich Kritikfähigkeit üben und als erstrebenswerte Tugend einer gereiften Persönlichkeit und perfektionieren lässt. Dabei wird nur eine Frage oft übersehen: Die nach dem Kritiker und dem Wesen der Kritik selbst. Oft nämlich hat Kritik weniger mit dem zu tun, dem sie gilt, als mit dem, der sie äußert.
Der gefragte britisch-US-amerikanische Autor und Unternehmensberater Simon Sinek ist der Meinung, dass sich das Wesen jeder Handlung und Aussage entschlüsseln lässt, wenn man sie unter drei Gesichtspunkten betrachtet: Was, Wie und Warum. Dem Fachmann zufolge befasst sich Kommunikation viel zu oft zunächst mit dem Was, dann erst mit dem Wie und zuletzt schließlich mit dem Warum. Dabei sei das Warum der Kern der eigentlichen Aussage und damit quasi ihre Motivation. Sinek stellt dies plakativ in dem von ihm entwickelten „Golden Circle“-Modell vor, bei dem drei Kreise ineinander liegen, die jeweils eine der drei goldenen Fragen symbolisieren.
Der äußere Kreis zeigt das Was: die harten Fakten, Daten und Zahlen, also die Ratio des Menschen. Eine Stufe weiter innen liegt der Kreis des Wie: die Art und Weise, wie wir etwas tun oder sagen. Ganz innen schließlich befindet sich der Kreis des Warum: Warum tun oder sagen wir etwas? Dies ist die Stufe der menschlichen Überzeugungen, der Intuition, des menschlichen Verhaltens und der eigentliche Kern einer jeden Tat oder Aussage. Auch Kritik lässt sich mit dem „Golden Circle“ auf ihr Wesen herunterbrechen.
Um herauszufinden, ob Kritik Hand und Fuß hat, sollte man also Folgendes fragen: Was wird kritisiert, wie wird kritisiert und vor allem: warum? Die eigentliche Kritik hat in vielen Fällen mehr mit dem Wertesystem des Kritikers zu tun, als mit demjenigen, dem sie gilt. Naturgemäß stört einen nämlich immer nur das, was nicht zur eigenen Weltsicht passt. Typischerweise werfen Kritiker ihrem Gegenüber also genau das vor, was sie selbst tun, aber nicht wahrhaben wollen. Das ist das Wesen der Kritik – also das Was.
Die Art, wie Kritik zu Gehör gebracht wird, hat ebenfalls unmittelbar mit dem Wertesystem des Kritikers zu tun. Manchmal erkennt man, dass ein Kritiker bloß darauf aus ist, sich selbst zu erhöhen, indem er andere abwertet. Daran, wie die Kritik ausgedrückt wird, lässt sich also die Entwicklungsreife des Kritikers selbst ablesen. Je wohlwollender die Kritik im Sinne eines Feedbacks ist, desto entwickelter ist die Persönlichkeit, die sie äußert selbst. Je kränkender, vielleicht sogar persönlich die Kritik ist, desto unreifer ist die Person. Letzteres hat mehr mit „Fingerpointing“ zu tun, bei dem der Kritiker dem Finger auf andere zeigt, um von sich selbst abzulenken. Der letzte, aber wichtigste Punkt des Goldenen Kreises markiert das Warum. Warum wird die Kritik geäußert? Wenn sie nur darauf zielt, das Ego des Kritikers zu bedienen, oder darauf, dem eigenen Ärger Luft zu machen, hat Kritik also weder Hand noch Fuß.